VERSTECKT

Kabul, 10. November 2014

 

Ich lebe im korruptesten Land der Welt, seit etwas mehr als einem Jahr. Und ich habe noch kein Mal Geld geschmiert. Das heißt: ein Mal. Aber das zählt eigentlich nicht richtig. Ruine des alten Königspalastes. Wir wollten ein paar Fotos machen und reingehen – dafür muss man die Soldaten, die den Palast bewachen, bezahlen. Es ist eine bekannte Regel; es gibt fixe Preise - fast wie Eintritt. Nur eben: Korruption.

 

Einmal in 14 Monaten, im korruptesten Land der Welt, ist eine Bilanz, die klar geht, finde ich. Allerdings habe ich so gut wie nie mit Ministerien oder sonstigen Staatsvertretern zu tun, und wenn doch, ist immer klar, dass ich als Journalistin arbeite, also zur Not berichten könnte. Sogar an den Checkpoints winken mich die Polizisten durch. Frauen sind ungefährlich, ausländische sowieso. Meine Bilanz ist also nicht ganz fair.

 

Und nach Geld gefragt wurde ich sowieso öfter.

 

Einmal, beim Körper Abtasten am Flughafen, fragte mich die Beamtin, ob ich nicht etwas für sie hätte. Ich antwortete wahrheitsgemäß, dass ich nur noch drei Dollar in der Tasche hatte, noch nicht gefrühstückt hatte und mir eigentlich am Gate noch Tee und Brot kaufen wollte. Da sagte sie: Na gut. Dann halt beim nächsten Mal.

 

Einmal stoppte uns ein Mitarbeiter des afghanischen Geheimdienst beim Filmen auf einem Markt. Er verlangte unsere Presse-Ausweise und unsere Pässe, kontrollierte beides, rief im Ministerium an und fragte nach, ob unsere Namen dort aufgelistet seien. Als sich sich herausstellte, dass es nichts zu bemängeln gab, sagte er: „Könnt ihr mir nicht ein bisschen helfen? Habt ihr „Eidi“ für mich?“ - zu deutsch: Geld fürs Opferfest? Wir stellten uns dumm. „Womit kann ich dir denn helfen?“, fragte ich. „Bitte entschuldige, unser Dari ist sehr schlecht – wobei sollen wir dir helfen?“ Ich fragte so laut, dass alle Umstehenden es hören konnten. Nach drei Fragen dieser Art und Lautstärke wurde es ihm sichtlich unangenehm. „Ist schon gut“, sagt er, „was ich meinte: Sagt Bescheid, wenn IHR noch Hilfe braucht.“

 

Ein anderes Mal, beim Abtasten vorm Eingang der Passbehörde musste ich vier Kugeln Kurut abgeben. Das ist steinhart getrockneter Sauerkäse, weißlich-gelbe Kugeln. Der erste Bissen Kurut ist absolut ungenießbar. Danach isst man es entweder nie wieder oder man merkt, dass es eigentlich ganz gut schmeckt, wenn man sich erstmal dran gewöhnt hat. Ich hatte den Kurut für einen Bekannten aus Bamyan nach Kabul mitgebracht und nun in einer Tupperbox eingepackt; die hatte die Beamtin gesehen. „Ooooh!“, sagte sie. Und dann: „Gib mir was!“ „Das ist für einen Freund“, sagte ich. Aber die Frau ließ nicht nach. Ich öffnete die Plastikbox und gab ihr eine der weißlich-gelben Kugen. „Mehr, mehr!“, sagte sie. Ich legte noch mehr in ihre Hand, zwei, drei, vier. Dann ließ sie mich gehen. Die Frau hatte mich damals überrumpelt – mit Naturalienbestechung hatte ich nicht gerechnet, erst recht nicht bei stinkigem Trockenkäse.

 

Diese Woche, beim Dari-Unterricht, erfuhr ich, dass das keineswegs ungewöhnlich ist. Mein Lehrer erzählte, zwei seiner Freunde seien einmal in Pakistan kontrolliert worden. Beide hatten einen Pass und beide hatten ein gütiges Visum. Trotzdem sagten die Polizisten: „Ihr müsst zahlen!“

 

Warum?“, fragte der eine, „wir haben doch den Pass.“ „Und wo in dem Pass steht geschrieben, dass man nicht bezahlen muss?“, fragte der Polizist. Der eine Afghane gab Geld und war entlassen. Der andere sagte, er habe kein Geld dabei und leerte alle Taschen, um es zu beweisen. „Okay“, sagten die Polizisten, „dann musst du uns fünf Minuten die Schultern massieren.“

 

Ich weiß, was sie jetzt denken: Das MUSS ein Witz sein. Doch mein Lehrer hat geschworen, dass es wirklich passiert ist - und ich habe drei Mal nachgefragt, denn natürlich hört man im korruptesten Land der Welt andauernd Witze über Korruption.

 

Ein Beamter bestellt einen Ventilator für den Sommer. Im Winter kommt er an.

Aus dem Ausland wurde ein Spürhund beordert, der angeblich riechen kann, ob jemand korrupt ist oder nicht. Nach der Landung am Kabuler Flughafen schlägt er bei jedem Menschen an. „Es tut mir leid, der Hund muss durchgedreht sein“, entschuldigte sich der Hundeführer „Nein, nein“, beruhigen ihn die Leute, „hier sind einfach alle korrupt.“

Jemand besorgte einen Detektor, der Diebe erkennt, und brachte ihn nach Afghanistan. Nach einem Tag war er gestohlen.

Ein Berater sagt dem Präsidenten: „Du musst dringend was gegen Korruption tun!“ Der Präsident fragt: „Was springt dabei für mich raus?“

 

Afghanistans neuer Präsident, Ashraf Ghani, hat tatsächlich angekündigt, gegen Korruption zu kämpfen, schon 2009, als er das erste Mal bei der Wahl antrat. Angeblich begrüßt er Leute gerne mit den Worten: „This hand is clean from corruption. The other is clean from blood.“ Im Wahlkampf hatte er gesagt: „Corruption would not be eliminated in a day, but in five years you will see a very different country." Wenige Tage nach seiner Amtseinführung hat er den Korruptionsfall um die „Kabul Bank“ wieder aufrollen lassen. Gegen fünf ehemalige Minister wurden Ermittlungsverfahren wegen Korruption eingeleitet. Und Ashraf Ghani besuchte Polizei-Stationen ohne Ankündigung, um zu testen, ob die Beamten arbeiten oder nicht.

 

Das klingt nicht schlecht. Aber es geht noch besser: Einmal hat ein Polizist die Autos in Kabul angehalten, an den Straßenrand gewunken und ihnen jeweils ein Bündel Geldscheine zugesteckt. Dazu sagte er: „Wir haben dieses Jahr einen Überschuss gemacht, deshalb zahlen wir wieder etwas zurück.“ Der Polizist war ein Comedian. Versteckte Kamera in Kabul.