IN DER KAMPFSAISON

27. März 2014

 

 

Ein vertrautes Geräusch ist zurück in Kabul: die Happy Birthday-Melodie, mit der die Eisverkäufer, die auf der Straße bunte Kühltruhen vor sich herschieben, ihre Ware ankündigen; auf den Gehsteigen tragen Händler gelbe Plastikstellwände für Sonnenbrillen und in unserem Garten blüht der erste Mandelbaum.

 

Es ist Frühling.

 

In Kabul heißt das auch: es gibt wieder mehr Anschläge. Wenn der Schnee in den Bergen schmilzt, kommen die Aufständischen besser voran – und die sogenannte Fighting Season beginnt. Letztes Jahr kündigte ein Pressesprecher der Taliban ihren Start per E-Mail an. Dieses Jahr gab es noch nichts dergleichen. Trotzdem fliegen die Hubschrauber der Armee tiefer über unser Haus als sonst, ich höre öfter Schüsse oder die Sirenen von Polizei und Krankenwagen. In elf Tagen wählen die Afghanen einen neuen Präsidenten.

 

Aus Deutschland werden ein dutzend Journalisten anreisen, aber die Internationalen, die in Kabul leben, werden fast alle das Land verlassen – der Sicherheit wegen.

 

Letzte Woche schmuggelten vier Minderjährige Pistolen ins „Serena“, ein Hotel, das bekannt ist für Sauna, Schwimmbad und Sushi zum Frühstück und das vor allem Journalisten, Entwicklungshelfer und wohlhabende Afghanen als Kunden hat. Die Männer erschossen neun Menschen, darunter auch Sardar Ahmad , ein afghanischer Journalist, der für die französische Nachrichtenagentur AFP arbeitete, seine Frau und zwei ihrer Kinder. Das dritte, zwei Jahre alt, wurde ebenfalls getroffen. Ein paar Tage nach dem Angriff erwachte es aus dem Koma, als Waise.

 

Zunächst übernahmen die Taliban Verantwortung für den Angriff. Doch als afghanische Journalisten ein Statement veröffentlichten, dass sie 15 Tage nicht mehr über die Taliban berichten würden, als Politiker sich empörten und die Leute auf die Straße gingen, meldete ein Sprecher, man bedauere den Tod des Journalisten und seiner Familie. Es sei nicht geplant gewesen, aber im Krieg treffe es eben auch Unschuldige, das sei bei amerikanischen Luftangriffen nicht anders. Dann gab die Regierung bekannt, der Angriff sei nicht von den Taliban, sondern von Pakistan ausgegangen, genauer gesagt, vom Geheimdienst ISI. Pakistan wies die Vorwürfe zurück.

 

„Wir schämen uns“, sagte mein Dari-Leher am Wochenende. „Wir wollen nicht, dass die ganze Welt denkt, Afghanen würden Ausländer schlecht behandeln.“

 

Bei der Schießerei im Hotel wurde auch ein Mitarbeiter der US-amerikanischen Stiftung National Democratic Institute getötet. Er wohnte mit seinen Kollegen im Serena und war nach Afghanistan gekommen, um die Wahl zu beobachten. Nun holt das NDI seine Mitarbeiter zurück und auch die Beobachter der OSZE reisen ab.

 

Während ich diese Kolumne schreibe, kämpfen ein paar Kilometer entfernt afghanische Polizei und Militär gegen fünf Männer, ein Büro der Wahlkommission angegriffen haben.

 

Einer unserer Pförtner wohnt ganz in der Nähe des Büros der Wahlkommission. „Vielleicht ist es heute besser, du bleibst noch ein bisschen?“, frage ich, als er sich nach seiner Schicht verabschiedet. „Quatsch, ich nehm einfach einen Umweg.“ „Aber es ist ja trotzdem in der Nähe“, sage ich. „Ronja, für mich ist das alles nicht neu. Ich hab schon viele Gefechte gesehen.“ Dann geht er.

 

Der Pförtner, der ihn ablöst, erzählt zur Begrüßung, dass er seine Frau beauftragt habe, mir eine Burka zu besorgen - „im Ernstfall kannst du damit überallhin verschwinden.“ „Und bei dir merkt sowieso kein Mensch, dass du Ausländer bist“, sagt er zu meinem Freund, „solange du den Mund hältst.“

 

Dann lese ich bei Twitter, dass die Kämpfe aufgehört haben, nach vier Stunden. Die fünf Angreifer seien getötet, meldet das Innenministerium, außerdem zwei Polizisten, ein Kandidat für die Provinzwahlen und ein Mitarbeiter der Kommission.

 

Ein afghanischer Journalist schreibt, man solle keine Panik verbreiten wegen der vielen Angriffe der Taliban. Jetzt, da es das letzte mal sei, dass Afghanistan in den internationalen Medien auftauchte, wollten die Taliban eben Präsenz zeigen.

 

Unser Pförtner sieht das genauso: „Das geht jetzt noch elf Tage so“, sagt er. „Dann wird's wieder ruhiger.“