13. März 2014
Der Weltfrauentag in Kabul beginnt mit Empörung. Der älteste Pförtner unseres Hauses schimpft den Mann an meiner Seite, der nun auch in Kabul lebt, weil er – um acht Uhr morgens - noch keine Rose gekauft hat. „Heute! Ist! Welt!Frauen!Tag!“, ruft er ihm hinterher, als wir zu einem Termin fahren.
Frauengefängnis. Afghanische Menschenrechtlerinnen, die Kopftücher an die Insassinnen verteilen wollen, haben uns eingeladen. Der Pförtner des Gefängnisses winkt unsere Autos an den Straßenrand. Wir sollen einen Moment warten.
Der Moment dauert eine dreiviertel Stunde. Dann lässt die Gefängnisleiterin ausrichten, heute sei leider ein ganz schlechter Tag. Die Frauen seien zornig. Sie hätten eine Begnadigung von Präsident Karsai erwartet - wo er doch neulich 65 Talibankämpfer freigelassen habe und heute Weltfrauentag sei. Es tue ihm ja leid, aber das sei einfach zu gefährlich für uns. Die Menschenrechtlerinnen streiten eine Weile mit den Wärtern, dann heißt es, mit einer Bestätigung ihres Chefs könnten wir rein. Zwei der drei Autos fahren los. Eins Richtung Chef, das andere Richtung Bäcker, um Sahneteilchen und Wasser zu holen – seit unserer Ankunft sind inzwischen zwei Stunden vergangen.
Wir warten im Auto. Am Armaturenbrett ist ein Fernseher installiert. Afghan Star, eine Castingshow. Der Fahrer schaltet um. Hamid Karsai hält eine Rede. Er ruft alle Frauen auf, zur Wahl zu gehen. Damit ein neuer Präsident komme und er in Rente gehen könne. Er sagt, Männer sollten sich mit Amerikanern oder der Taliban anlegen, wenn sie beweisen wollten, wie stark sie sind – und nicht ihre Frauen verprügeln. Dann lässt er die Zuhörerinnen über einen Namen für seine neugeborene Tochter abstimmen. Heraus kommt Marwa Bahar. Und Karsai sagt: „Seht ihr, so einfach ist Demokratie“.
Die Menschenrechtlerinnnen kommen zurück, reichen dem Wärter ein Handy – es spricht ihr Chef – und wir dürfen rein. Hinter den hohen Schutzmauern stehen drei Häuser wie Wohnblöcke aneinander. Manche Zimmer haben vergitterte Balkone, auf einem kabbeln sich zwei Jungs, vielleicht vier Jahre alt, um einen Stuhl. Die Mütter im Gefängnis leben mit ihren Kindern hier.
In der Jugendstrafanstalt haben die Mädchen gerade Unterricht, eine von ihnen hat auf ein Papier gekritzelt. „Hast du das gemacht? Das ist schön“, sage ich – weil es einer der Sätze ist, die ich auf Dari kann und weil ich mir schweigend wie ein Zoobesucher vorkomme. Dann schaue ich genauer. Eine Frau in Burka mit Sprechblase: „My rights are violated. I want my rights.“ Daneben eine Frau mit Kopftuch:„I am so happy.“
Das Gefängnis ist mit einem Gittertor vom Rest der Anlage getrennt. Davor steht ein Wärter, etwa 40 Jahre alt, groß, rundlich. Aus dem Gefängnis dringen Schreie und Gejohle. „Das geht jeden Tag so“, sagt der Wärter. „Magst du deinen Job?“ „Machst du Witze?! Die Frauen machen mir Angst. Es ist schlimm. Ich würde lieber im Männergefängnis arbeiten. Das einzig gute ist, dass ich es morgens nicht weit habe. Mein Haus ist in der Nähe.“ Eine Wärterin kommt und unterschreibt auf meinem Unterarm. „Damit wir später wissen, wer von euch keine Gefangene ist“, sagt sie. Als mein Freund seinen Arm hinhält, winkt sie ab: “Ist doch ein Frauengefängnis!”
Drinnen begrüßen uns zwei Frauen in pinken, hautengen Kleidern mit Blumen im offenen Haar. „Willkommen, willkommen!“ rufen sie. Ich bin verwirrt und überlege, ob es sein kann, dass es im Gefängnis Prostituierte gibt. Später erfahre ich: die beiden sind die Bosse unter den Gefangenen.
Während die Menschenrechtlerinnen Kopftücher verschenken und die pinken Bosse darüber zetern und schreien, wer welche Farbe bekommt (alle wollen schwarz), sprechen wir mit einer Frau, die seit einem Jahr hier ist, weil sie das Armband ihrer Schwester geklaut hat. Heute soll sie entlassen werden. Sie sagt, sie habe Angst, dass ihre Verwandten sie wieder verklagen werden, sobald sie frei ist. Dann weint sie.
Nach 30 Minuten müssen wir zurück. Die Wärterin kontrolliert die Unterschrift auf meinem Arm und schließt das Gittertor. Ein Junge im Kindergartenalter winkt uns hinterher, mit der anderen Hand streckt er durch das Gitter ein Papierflugzeug nach draußen.
Im Auto klingelt mein Handy. Ein Freund erzählt, dass er mit seiner Frau beim Schmuck kaufen ist und mir nur kurz zum Weltfrauentag gratulieren wollte. „In Deutschland feiern wir das gar nicht“, sage ich, als er aufgelegt hat. „Wirklich?“, fragt eine Menschenrechtlerin. „Das finde ich gut. Ein International Day of Humans wäre besser. Das würde viel deutlicher zeigen, dass wir alle gleich sind.“