"DO YOU KNOW GEMÜTLICHKEIT?"

02. Januar 2014

 

Sechs Uhr morgens. Mein Fahrer ist so müde, dass er Schlenker fährt. Ich bin entsprechend wach, und auf dem Weg zum Flughafen.

 

Eigentlich wollte ich schon ein paar Tage zuvor zurückfliegen, aber mein Visum, das ich vor 13 Wochen beantragt habe, war nicht fertig. Ich brauche es, um 2014 wieder einzureisen – und um nach Deutschland auszureisen. Ich verschob meinen Flug und versuchte alles Mögliche und Unmögliche, um das Visum zu bekommen. Das Unmögliche klappte - wie kann ich nicht erzählen. Aber die Geschichte ist ohnehin so bizarr, dass keiner sie glauben würde.

 

An der Schranke zum Flughafen steige ich aus und laufe ein paar Meter zu dem Wartehäuschen, in dem eine Frau die Frauen durchsucht. Meistens plaudern wir kurz: Wie geht’s dir? Wohin fliegst du? Heute sind ihre Kolleginnen da. Die Frau tastet einmal auf meinen Oberarm, einmal auf meinen Bauch, dann winkt sie mich raus. Erster Check.

 

Ich steige zurück ins Auto, das in der Zwischenzeit untersucht wurde. Wir fahren 200 Meter. Im nächsten Häuschen sitzt die Frau in einem Sessel. Normalerweise besteht sie darauf, dass man sich zu ihr runter beugt, damit sie nicht aufstehen muss. Heute fragt sie: „Fliegst du nach Dubai?“ Dann winkt sie mich durch; wer Geld hat, ist nicht verdächtig. Zweiter Check.

 

Ich lasse mein Gepäck durchleuchten und verabschiede mich vom Fahrer. Hinterm Parkplatz ist die Wartehalle, 50 Meter weiter kontrollieren zwei Polizisten mein Ticket. Dann das nächste Häuschen. Darin versucht gerade ein Polizist, die Heizung zu reparieren. Die Frau blickt flüchtig in meine Handtasche. Dann schickt sie mich weiter. Dritter Check.

 

Zwei Minuten Bus bis zum Internationalen Terminal. Vierter Check. Dort werde ich zum ersten Mal wirklich abgetastet. „Wo fährst du hin?“, fragt die Frau. „Nach Deutschland.“ „Für Ferien?“ Ich nicke. „Und kommst du wieder?“ „Ja, nächstes Jahr.“ Sie wirkt beruhigt und winkt mich weiter.

 

Check-In, Passkontrolle, Metalldetektor, Gepäck-Scan. Ich hole meine Kamera aus dem Rucksack und lege sie aufs Rollband. „Hast du Fotos von Afghanistan gemacht?“, fragt der Gepäck-Kontrolleur. „Ja.“ „Aus Kabul?“ „Ja“, sage ich, „auch.“ Dann zähle ich die andern Orte auf, an denen ich war. „Und überall hast du Fotos gemacht?“, fragt der Mann. „Ja, ich bin Journalist. Ich leb hier.“ „Oh, du kommst also zurück?“ Ich nicke. Der Mann strahlt und auf einmal wirkt er wie jemand, der Angst davor hat, dass die ganze Welt von einem Tag auf den andern sein Land vergessen könnte. „Schöne Ferien!“ winkt er mir hinterher.

 

Im Flugzeug sind außer mir ein paar afghanische Geschäftsleute in traditioneller Kleidung, ein paar im Anzug; eine handvoll bulliger glatzköpfiger Männer mit Sonnenbrille, ein paar NGO-ler. Wir sind ein bizarrer Mix - jene, die in Kabul leben und trotzdem jederzeit weg können. Eine Reihe hinter mir erzählt ein Deutsch-Afghane einem Amerikaner vom Oktoberfest. „Do you know Gemütlichkeit?“, fragt er und wartet nicht auf die Antwort. „It means dont hurry, relax, no stress. I love it.“ „I didnt know“, sagt der Amerikaner. „I just know wunderbar.“

 

Drei Stunden später stehe ich in Dubai. Am Horizont verschwindet das höchste Gebäude der Welt im Dunst, im Terminal plätschert ein Wasserfall. Kilometerlange Ladenstraßen: Pyramiden aus Champagnerflaschen, ein Sportwagen, Goldschmuck ohne Preiszettel. Beim Mittagessen bringt die Bedienung statt der Menükarte zwei Ipads.

 

Am Gate sitzt neben mir ein deutsches Rentnerpaar. Sie haben Urlaub in Dubai gemacht und unterhalten sich mit einer etwa 40-jährigen Frau, die eine flüchtige Bekannte zu sein scheint.

 

„Von unserm Hotel wurden jeden Tag die Fäkalien mit nem Tanklaster weggebracht“, sagt der Rentner-Mann.

 

„Reichtum schützt vor Scheißen nicht“, sagt die Bekannte.

 

„Aber die Popo-Brause war toll“, sagt die Rentner-Frau.

 

„Ja, die war toll“, sagt die Bekannte. „Die sollte man in Deutschland auch mal einführen“.