6. März 2014
Ein paar Straßen von unserm Haus entfernt ist ein Möbelgeschäft. Stapelweise Teppiche und Kissen, dazwischen stehen Holzschränke und Lampen. Ich bin öfters dort, meistens nur zum Stöbern. Diesmal sagt der Besitzer: „Heute musst du was kaufen.“
„Warum?“, frage ich.
„Seit Tagen war kein Kunde hier. Es ist zu kalt draußen und ich glaube, die meisten Ausländer haben Angst.“
„Vielleicht wird´s im Sommer besser.“
„Hoffentlich, nach den Wahlen! Bis dahin will niemand sein Geld ausgeben.“
Seit einem Monat steckt Kabul im Wahlkampf. An Strommasten, Haustüren und Plakatwänden kleben übergroße Gesichter. Sie gehören den Männern, die Afghanistan nach Hamid Karsai regieren wollen, elf Kandidaten mit ihren Stellvertretern. Einige von ihnen würden wir in Deutschland ohne Weiteres Schwerstkriminelle nennen.
Meine Freunde und Bekannte setzen auf:
Ashraf Ghani (Ex-Finanzminister, Ex-Weltbankmitarbeiter, hat als Raschid Dostum gewählt, der seiner Vergangenheit den Spitznamen „Schlächter“ verdankt);
Zalmai Rassoul (Ex-Außenminister, enger Vertrauter Karsais, 70 Jahre alt aber unverheiratet, spricht nur eine der zwei Landessprachen);
Abdullah Abdullah (kämpfte gegen die Sowjets, Karsais größter Herausforderer bei der letzten Wahl, guter Freund des ermordeten Volkshelden Massoud).
Fremde Leute nach ihrem Favoriten zu fragen, gilt als unhöflich. Im Möbelgeschäft versuche ich es also über Umwege. „Glaubst du nach den Wahlen wird es besser?“, frage ich. “Ach, was weiß ich schon von Politik“, schmettert der Verkäufer mich ab.
Wie führt man Wahlkampf in einem Land, das zu den korruptesten der Welt zählt? In dem Stimmen schon seit Monaten verkauft werden? In dem Männer die Wahlkarten ihrer Frauen, Töchter und Tanten abgegeben dürfen und in dem diese Wahlkarten aus Rücksicht auf die Kultur kein Passbild brauchen?
Die offiziellen Grundregeln: Es gibt einen Startschuss (Anfang Februar) und ein Ende (48 Stunden vor der Wahl, die für den 5. April geplant ist). Bis dahin darf jeder Kandidat höchstens 130 000 Euro für seine Kampagne ausgeben. Offiziell zumindest.
Es gibt TV-Duelle mit begrenzter Redezeit, ähnlich wie in Deutschland, nur dass mehr Redner eingeladen sind. Einer wirbt damit, mehr junge Leute in die Regierung zu bringen, ein anderer verspricht, das Sicherheitsabkommen mit den USA zu unterschreiben. Karsais Bruder, der auch antritt, liest von einem Blatt Papier ab.
Fast alle Kandidaten werben im Netz. Abdullah Abdullah twittert selbstbewusst mit dem Account @AfgPresident. Ein Bild zeigt ihn telefonierend in einem braunen Ledersessel. Dunkler Anzug, Seidenschal, weißes Einstecktuch, zurückgekämmte Haare. Fehlt noch das Whiskeyglas und er würde als Don Vito Corleone durchgehen.
Ein Video auf Facebook: „Warum Ashraf Ghani wählen?“, fragt der Sprecher. Dann antworten eine Lehrerin, Studenten im Park, ein Kioskbesitzer hinter der Ladentheke, ein Jugendlicher im Fitness-Studio, eine Näherin mit Lippenstift und geschminkten Augen, ein Geschäftsmann vor seinem Laptop, Schüler auf der Straße, ein Taxifahrer, der sein Auto wäscht. Niemand trägt traditionelle Kleidung, keine Burka, kein Turban.
Die Kandidaten bringen sich in Stellung und ihre Feinde auch. Es gab ein Attentat auf Ismail Khan, Provinzgouverneur von Herat, der für den islamistischen Hardliner Abdul Rasul Sayyaf als Vizepräsident antritt. Ein Unterstützer Ashraf Ghanis wurde verwundetet, zwei Helfer von Abdullah Abdullah getötet. Die meisten Internationalen verlassen das Land über die Wahl.
Im Möbelgeschäft setze ich nochmal zu einem Versuch an: „Gehst du wählen?“, frage ich den Verkäufer. “Klar“, sagt er, „das ist meine Pflicht.“ Dann wechselt er das Thema.